Placebo bei Antidepressiva: Hoffnung oder Täuschung?

Offene Medikamentendose mit bunten Pillen davor – Symbolbild für Placeboeffekt bei Antidepressiva

Ich habe lange gezögert, diesen Text zu schreiben. Zu oft wurde ich belächelt, abgewertet oder mit einem Achselzucken abgespeist, wenn ich über meine Erfahrungen mit Antidepressiva gesprochen habe. Dabei geht es hier nicht um eine Meinung – es geht um gelebte Realität. Um Nächte voller innerer Unruhe, Tage im Nebel und um Medikamente, die mir versprochen wurden wie ein Rettungsring, aber sich angefühlt haben wie ein Bleigürtel. Ich bin kein Wissenschaftler, Arzt oder Pharmakritiker, sondern jemand, der seit Jahren mit Depressionen lebt. In diesem Beitrag schreibe ich über den Placeboeffekt bei Antidepressiva, Nebenwirkungen und die Entzugssymptome, die bei Ärzten oft nicht ernst genommen werden.

Ich habe alles versucht – und trotzdem wurde es schlimmer

Seit meiner Kindheit leide ich unter Depressionen. Und ich meine nicht diese „Ich bin heute mal schlecht drauf, traurig oder gelaunt“-Stimmung, die viele mit dem Begriff verbinden. Ich rede von dieser lähmenden Dunkelheit, die sich wie ein dunkler Schleier um alles legt. Von Tagen, an denen ich nicht weiß, wie ich überhaupt aufstehen, mir die Zähne putzen oder überhaupt was essen soll. Von Nächten, in denen ich mich frage, ob ich jemals wieder schlafen kann, ohne dass mein Kopf mich mit Erinnerungen bombardiert, die ich längst vergessen wollte. Ich habe alles versucht. Gespräche, Therapien, Selbsthilfegruppen, Antidepressiva aus allen Stoffgruppen, Antikonvulsiva, Neuroleptika, Lithium, ADHS-Medikamente, Elektrokrampftherapie und Traumatherapie. Bis auf die Elektrokrampftherapie hat nichts geholfen und diese auch nur für eine sehr begrenzte Zeit – nach ein paar Tagen nach der letzten EKT ging es schon wieder bergab. Manches – vor allem die Traumatherapie und einige Antidepressiva und Neuroleptika – haben es sogar verschlimmert.

Zuerst war da noch die Hoffnung

Anfangs, als ich meine Karriere mit Antidepressiva anfing – das erste Mal bekam ich mit gerade einmal 16 Jahren mein erstes Psychopharmakon – war da noch Hoffnung. Es klang nach Rettung, endlich nach einem Ausweg. Damals war die Hoffnung noch da und mit 18 kam das erste Antidepressivum – Fluctin, danach, mit 21, folgte Zoloft. Damals merkte ich nach ca. 14 Tagen ein „Leck mich am Arsch“-Gefühl und damals war mir das gerade sehr recht, aber gegen die Depression hatte es nicht geholfen. Zumal ich mich damals auch noch sehr oft mit Alkohol betäubte, um das Leben irgendwie auszuhalten. Zwischen meinem 18. und 28. Lebensjahr nahm ich immer mal wieder diese Giftpillen ein, auch wenn sie mir nichts brachten, außer dieses Gefühl von „Leck mich am Arsch“. 2008 begann dann der Medikamentenmarathon, auf den ich meine letzte Hoffnung legte. Aber was ich bekam, war etwas ganz anderes. Die ersten Tage waren seltsam. Ich war leer – und das zu der Leere, die ich eh schon habe. Aber diese Leere war irgendwie anders. Als hätte man mir die Emotionen komplett aus dem Körper gesaugt. Ich habe einfach überhaupt nichts mehr gefühlt.

Und dann kamen die Nebenwirkungen: Übelkeit, Zittern, Schweißausbrüche, Durchfall ein unbändiger Hunger komplett ohne Sättigungsgefühl. Eine komplette Torte? Für mich war das kein Problem, danach noch eine Tüte Gummibären und 4 Weißwürschtl. Satt? Von wegen, ich hätte noch weiter essen können, doch irgendwann passt halt einfach nichts mehr rein. Mein Schlaf, der eh schon auf 1 bis 2 Stunden begrenzt war, wurde noch schlechter. Mein Kopf fühlte sich an, als würde er unter Strom stehen. Und trotzdem sagte man mir: „Das ist normal. Das geht vorbei.“ Nichts ging vorbei. All die über 20 Antidepressiva und Psychopharmaka, die ich schon bekommen habe, hatten alle massive Nebenwirkungen. Oft bekam man von den Ärzten zu hören: „Das kann nicht sein.“ Ist klar, kaum setzte man das Medikament ab, waren die Nebenwirkungen auch weg. Und ich bin kein Mensch, der sich so schnell von Nebenwirkungen ins Boxhorn jagen lässt. Ich bin da eher ziemlich unempfindlich und halte ziemlich viel aus. Jetzt habe ich 3 Psychopharmaka, die ich soweit ganz gut vertrage – bis auf diese Heißhungerattacken, die aber auch teilweise von meinen Binge-Eating-Attacken herrühren. Ich bin ein emotionaler Esser und versuche so meine Leere zu stopfen. Ein anderes Mal verfalle ich dann in meine atypische Anorexie.

Die große Lüge vom Serotoninmangel

Was mich heute am meisten wütend macht, ist die Tatsache, dass die gesamte Antidepressiva-Industrie auf einer Hypothese basiert, die längst widerlegt ist. Die Serotonin-Hypothese. Jahrzehntelang wurde uns erzählt, Depressionen seien eine Folge von Serotoninmangel im Gehirn. Klingt logisch, oder? Eine einfache Erklärung für ein komplexes Zusammenspiel von Körper und Seele. Ein Botenstoff fehlt, also geben wir einfach ein Medikament, das den Serotoninspiegel erhöht – vereinfacht ausgedrückt. Aber Studien zeigen mittlerweile: Es gibt keinen klaren Zusammenhang zwischen Serotoninspiegel und Depression. Im Gegenteil. Bei vielen depressiven Menschen sind die Serotoninwerte sogar erhöht. Und trotzdem basiert die gesamte medikamentöse Behandlung auf dieser Idee. Das ist nicht nur wissenschaftlich fragwürdig – das ist fahrlässig. Aber diese Hypothese kommt ja auch von der Pharmaindustrie, die diese massiv unter die Leute, auch unter die Ärzteschaft, gebracht hat. Und jeder hat es unkritisch übernommen – fast jeder.

Placeboeffekt bei Antidepressiva – und warum sie oft stärker wirken als das Medikament

Was ich erst viel später verstanden habe: Ein Großteil der Wirkung von Antidepressiva ist gar nicht pharmakologisch, sondern psychologisch. Man nennt es auch Placeboeffekt. Studien zeigen, dass der Großteil der positiven Effekte von Antidepressiva auf unspezifische Faktoren zurückzuführen sind – etwa die Erwartungshaltung, die Zuwendung durch den Arzt oder die Hoffnung, dass endlich etwas hilft. Und bei mir hat noch nicht einmal der Placeboeffekt eingesetzt – vielleicht auch, weil ich ein sehr kritischer Mensch bin. Das bedeutet: Viele Menschen fühlen sich besser, weil sie glauben, dass sie sich besser fühlen sollten. Aber nicht, weil das Medikament tatsächlich wirkt. Und das erklärt auch, warum die Wirkung oft nachlässt, sobald diese Hoffnung schwindet. Oder warum manche Menschen sich besser fühlen, obwohl sie ein Placebo bekommen haben.

Der Glaube an etwas versetzt bei vielen Berge. Doch irgendwann verfliegt auch dieser Placeboeffekt – man hört es so oft in Foren, wo sich Menschen fragen, warum auf einmal das Medikament nicht mehr wirkt. Bei vielen ist es auch so, dass sie das Medikament nach vielen Wochen oder Monaten der Depression einnehmen und die Depression von alleine verschwindet – diese Patienten glauben, dass das Medikament geholfen hat. Nehmen sie es weiter ein und fallen wieder in die depressive Phase, glauben sie, das Medikament würde nicht mehr helfen. Oft wird dann von Psychiatern die Dosis erhöht oder ein zweites Antidepressivum aus einer anderen Stoffgruppe oder ein Neuroleptikum dazugegeben. Nach ein paar Wochen verschwindet wieder die Depression – aber nicht, weil die Medikamente helfen, sondern weil die depressive Phase wieder überstanden ist.

Die Nebenwirkungen – ein Preis, den niemand erwähnt

Was mich am meisten belastet hat, waren die Nebenwirkungen. Und ich rede nicht von ein bisschen Übelkeit oder Kopfschmerzen. Ich rede von Libidoverlust, Gewichtszunahme, Schlafstörungen, innerer Unruhe – zu der extremen inneren Unruhe, die ich eh schon habe –, Zittern, Schwindel, Herzrasen/Herzjagen, Herzstolpern, Herzrhythmusstörungen und so einiges mehr. Oft habe ich mich selbst nicht mehr erkannt und fühlte mich einfach nur noch wie ein Zombie – und das sah man mir auch an. Es gab kaum eine Polizeikontrolle, in der ich nicht angehalten und zum Drogentest gebeten wurde. Und das Schlimmste: Niemand hat mich wirklich davor gewarnt. In den Gesprächen mit Ärzten wurde das Thema Nebenwirkungen oft nur am Rande erwähnt. „Das kann passieren, aber das ist selten.“ Nein, es ist nicht selten. Die Einnahme ist häufig sehr belastend und mit schweren Nebenwirkungen verbunden, weshalb neuerdings Warnhinweise zu Sertralin herausgegeben wurden. Und es ist ein Grund, warum viele Menschen die Medikamente wieder absetzen – oder gar nicht erst anfangen.

Absetzen – ein Kampf gegen Windmühlen

Ich habe es versucht. Mehrmals. Das Absetzen. Und bei manchen Antidepressiva, vor allem den SSRI und SNRI, fühlte es sich an wie ein kalter Entzug. Zittern, Schwindel, Panikattacken, Brain Zaps – diese elektrischen Schläge im Kopf, die einen aus dem Nichts treffen oder gerade bei Bewegung des Kopfes auftreten. Ich habe meine Tabletten langsam reduziert, in kleinen Dosisreduktionen. Und trotzdem war es extrem unangenehm. Und das ist kein Einzelfall. Viele Menschen berichten von massiven Absetzsymptomen – ich möchte es lieber Entzugssymptome nennen, denn genau das ist es – die Wochen oder sogar Monate andauern. Und trotzdem wird das Thema in der medizinischen Praxis kaum ernst genommen. Der Patient wird erst gar nicht ernst genommen. Man hört nur: „Das kann nicht sein, das sind nur wieder Ihre alten Symptome.“ In der Nationalen Versorgungsleitlinie steht sogar, dass das Absetzen „meistens vergessen“ wird. Das ist nicht nur fahrlässig – das ist, meiner Meinung nach, gefährlich.

Die Pharmaindustrie – Profite statt Heilung

Wenn man sich die Zahlen anschaut, wird schnell klar, warum Antidepressiva so häufig verschrieben werden. Es ist ein Milliardenmarkt. Allein in Deutschland wurden 2022 rund 1,8 Millionen Tagesdosen verordnet. Und das, obwohl die Wirksamkeit fraglich ist und die Nebenwirkungen massiv sind. Die Pharmaindustrie hat eigentlich kein Interesse daran, dass wir gesund werden. Sie hat eher ein Interesse daran, dass wir konsumieren und abhängig werden. Dass wir glauben, ohne Medikamente geht es nicht mehr. Und das ist ein System, das nicht auf Heilung basiert, sondern ausschließlich auf Profit. Versteht mich bitte nicht falsch. Es gibt Medikamente, die wirklich gegen gewisse Krankheiten helfen und wir können froh sein, diese Medikamente zu haben – wie zum Beispiel Diazepam, das bei schweren Epilepsien zum Einsatz kommt. Aber diese unkritischen Verschreibungspraktiken und dieses unkritische Einwerfen von Medikamenten, die nun einmal keine Smarties sind, finde ich sehr bedenklich. Und noch bedenklicher finde ich, dass man bei psychischen Erkrankungen Medikamente verschreibt, bei denen man, wenn man ehrlich ist, noch nicht einmal weiß, wie sie wirken und was sie bewirken. Das ist fahrlässig.

Die Kritik wächst – aber sie wird ignoriert

Immer mehr Wissenschaftler, Psychiater, Therapeuten und Betroffene äußern Kritik an der Verschreibungspraxis von Antidepressiva. Studien zeigen, dass die Medikamente bei leichten und mittelschweren Depressionen kaum besser wirken als Placebos. Und trotzdem werden sie massenhaft verschrieben – oft ohne ausreichende Aufklärung, ohne begleitende Therapie, ohne echte Alternativen. Auf einer Hypothese, die eben, wie schon erwähnt, längst widerlegt ist.

Und wenn man diese Kritik äußert, wird man schnell als „Wissenschaftsleugner“ abgestempelt. Als jemand, der die Wissenschaft nicht ernst nehmen würde. Aber genau das Gegenteil ist der Fall: Ich nehme die Wissenschaft sehr ernst. Ich lese Studien, höre Betroffenen zu bzw. lese unzählige Erfahrungsberichte und hinterfrage. Ich sehe, dass das System nicht so funktioniert, wie es funktionieren sollte. Und das auf Kosten der Patienten.

Was hilft wirklich?

Was mir ein wenig geholfen hat, um nicht ganz an dieser Depression und meinen psychischen Erkrankungen zu zerbrechen – zumindest ein kleines Stück weit – waren ehrliche Gespräche. Mit Therapeuten, die nicht nur aus dem Lehrbuch predigen, mit Freunden, die oft selbst schon Erfahrungen mit Depression gemacht haben und natürlich mit anderen Betroffenen. Was mir auch ein wenig geholfen hat, war Bewegung, Schreiben und vor allem mein kleiner Schatz, mein über alles geliebter Kater und vor allem auch die Natur. Und manchmal einfach nur das Wissen, dass ich nicht allein bin.

Das bedeutet nicht, dass ich komplett gegen Medikamente bin. Ich nehme ja selbst noch welche ein, um überhaupt ein wenig Schlaf zu bekommen. Es bedeutet, dass ich für Aufklärung bin, aber vor allem für Ehrlichkeit. Für eine Behandlung, die den Menschen in den Mittelpunkt stellt – nicht das Medikament. Aber es ist für Psychiater und Ärzte allgemein das Leichteste, einfach ein Medikament zu verschreiben und darauf zu hoffen, dass die Depression, die Ängste, die Panikattacken, die psychischen Leiden verschwinden. Die Realität vieler sieht jedoch völlig anders aus. Und dann gilt man als schwierig und bekommt nur Achselzucken – so wie ich es nur allzu oft schon in der Praxis eines bestimmten Arztes erlebt habe.

Fazit: Wir müssen neu denken

Antidepressiva sind kein Allheilmittel und sie sind keine Smarties. Sie sind ein Werkzeug – und oft ein stumpfes. Sie können bei bestimmten Leiden helfen, wie zum Beispiel Mirtazapin gegen Schlafstörungen, aber sie können auch schaden. Und sie sollten niemals die einzige Antwort auf psychisches Leid sein. Wir brauchen eine neue Haltung. Eine, die nicht auf Pillen basiert, sondern auf Verständnis, Empathie und echten Lösungen. Denn Depression ist keine rein chemische Störung – sie ist ein Ausdruck von Schmerz, von Überforderung, von Verletzung. Und sie verdient mehr als eine Tablette.

Euer Patrick

(Bild wurde mit KI von Microsoft Copilot generiert)

Keine Kommentare

Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Die Angabe von Name, E-Mail-Adresse und Website (sofern vorhanden) erfolgt freiwillig und ist nicht erforderlich. Es werden keine IP-Adressen gespeichert. Bitte beachte, dass bei Eingabe von Name und/oder Website diese Informationen öffentlich sichtbar sind. Eine anonyme Kommentierung ist möglich, sofern keine personenbezogenen Daten angegeben werden.